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Presse und AktuellesDenkzeichen am Hausvogteiplatz erinnert an die Vertreibung und Ermordung jüdischer Mitbürger während der Nazizeit10.07.00, Pressemitteilung Am heutigen Montag, den 10. Juli 2000, übergibt Senator Peter Strieder gemeinsam mit dem Bürgermeister von Mitte Joachim Zeller, dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Dr. Andreas Nachama und Dr. Mario Offenberg von der Israelitischen Synagogengemeinde Adass Jisroel zu Berlin sowie weiteren Persönlichkeiten um 11.30 Uhr am Hausvogteiplatz ein Denkzeichen zur Erinnerung an jüdische Mitbürger, die während der Nazizeit enteignet, vertrieben und ermordet wurden, der Öffentlichkeit. In seiner Ansprache hebt Senator Peter Strieder den besonderen Beitrag der jüdischen Bevölkerung Berlins in der Geschichte unserer Stadt hervor: "Seitdem ein Edikt des Großen Kurfürsten ihnen ab 1671 die Ansiedlung erlaubte, lebten jüdische Familien hier in unserer Stadt. Gerade hier in Berlin - jahrzehntelang Zentrum jüdischen Lebens des damaligen Deutschen Reiches - hatten die Juden einen sehr entscheidenden Anteil am gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben. Sie, die Träger einer der ältesten Kulturen, deren Religion die Wiege vieler Weltreligionen war, wurden zu aktiven, kreativen und richtungsweisenden Mitschöpfern deutscher und insbesondere auch Berliner Geschichte. Ihrem Mitwirken verdankt Berlin viel. Hier in Berlin schien möglich, wovon Generationen von jüdischen Familien immer geträumt hatten: Ein ruhiges, bürgerliches Leben, nicht mehr nur geduldet, sondern respektiert. Hier war man Mitbürger, Nachbar, Kollege. Hier engagierte man sich auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Der Hausvogteiplatz inmitten unserer Stadt war schon seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts Mittelpunkt der Berliner Mode- und Bekleidungsbranche, die insbesondere dank dem Wirken der hier am Platz ansässigen jüdischen Modefirmen schon bald Weltruf genoss. Firmen wie Manheimer, Levin, Herzog und Gerson trugen entscheidend zum hohen internationalen Ansehen der in Berlin kreierten Mode bei. Sich ihrer Verdienste für die Stadt bewußt, glaubten auch sie sich angekommen, aufgenommen, integriert und respektiert, bis im Januar 1933 die Nazis an die Macht kamen. Bereits die ersten von den Nazis erlassenen Anordnungen, Verordnungen und Gesetze stellten die Weichen zum Genozid - scheinbar legal, mitten in der Banalität des Alltags. Die jüdischen Mitbürger, Nachbarn, Kollegen von einst wurden nun hinterhältig kalkuliert aus der Gemeinschaft der deutschen Bürger ausgegrenzt und skrupellos ihrer Bürgerrechte beraubt. Auch die jüdischen Inhaber und Angestellten der Berliner Konfektionshäuser wurden mit zunehmender Gewalt aus ihrem Metier verdrängt, ihre Geschäfte und Unternehmen wurden ihnen systematisch geraubt. Stück für Stück wurde ihre Existenz zerstört. Eine erdrückende Verordnung nach der anderen ließ das Leben in Deutschland zu einem scheinbar endlosen Martyrium werden. Wer es nur irgendwie geschafft hatte, war fortgegangen aus diesem schrecklichen Land. Als dann die Verfolgung, Verschleppung und Vernichtung von sogenannten Andersdenkenden, von jüdischen Frauen, Kindern und Männern zum grausigen Alltag wurde, da mögen auch viele Deutsche dies nicht befürwortet haben. Es ist aber eine bittere und schmerzliche Wahrheit, dass all diese menschenverachtenden Maßnahmen zur sozialen und physischen Ausgrenzung eines Teils der deutschen Bevölkerung, an deren Ende die Vernichtung stand, nur durchsetzbar war, weil sie sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens stützen konnte. Möge uns dieses Kunstwerk zum einen Zeichen der Erinnerung an die jüdischen Inhaber und Angestellten der einst diesen Platz so prägenden Modebranche sein. Zum anderen sei es ein weiteres Denkzeichen, das uns und die uns nachfolgenden Generationen immer wieder mahnt, den Anfängen zu wehren. Und möge es uns vor allen Dingen Mut machen, auch und gerade in unseren Tagen zu jeder Form von Ausländerhass und Ausgrenzung von Mitbürgern 'NEIN zu sagen." Zum Denkzeichen am Hausvogteiplatz: Mit der Wende und den beginnenden Planungen zur Wiederherstellung des Hausvogteiplatzes und seiner Randbebauung setzten sich insbesondere der Verleger Gerhard Hentrich und der Journalist und der Autor des Buches: "Berliner Konfektion und Mode 1836 bis 1939 - Die Zerstörung einer Tradition", Uwe Westphal, für ein Denkmal zur Erinnerung an das ehemalige Modezentrum ein. Der 1992 gegründeten Initiativgruppe gehörten außerdem Persönlichkeiten wie Dr. Hermann Simon (Direktor des Centrum Judaicum) und die Journalistin Lea Rosh an. Als Zeichen des festen Willens, ein Denkzeichen zu errichten, wurde 1994 zunächst eine Informationssäule auf dem Hausvogteiplatz durch die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen im Beisein von Vertretern der Initiative und des Bezirks Mitte aufgestellt, mit Informationen zur Geschichte des Orts und der Ankündigung eines künstlerischen Wettbewerbs. Mit dem Ziel, mit künstlerischen Mitteln ein Denkzeichen zu schaffen, erfolgte 1995 durch die Senatsbauverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Mitte die Auslobung eines eingeladenen künstlerischen Wettbewerbs. Er sollte eine lebendige Auseinandersetzung mit der Geschichte des ehemaligen Konfektionsviertels ermöglichen und auf seine Zerstörung durch die Nationalsozialisten hinweisen. Von den sechs eingereichten Entwürfen wurde die Arbeit des Berliner Künstlers Rainer Görß von der Jury unter Vorsitz von Frau Dr. Stefanie Endlich zur Ausführung empfohlen: In den Treppenstufen der U-Bahnstation Hausvogteiplatz (Ausgang Ost) eingelassene Schilder mit den Namen früher am Platz ansässiger jüdischer Modefirmen, Daten ihrer Gründung sowie ihrer Vertreibung und Leerfelder als Hinweis auf nicht mehr ermittelbare Namen werden durch Spiegelelemente an den Wandflächen reflektiert, ebenso wie die Abbilder der Passanten. Als ein für die Konfektionsbranche typisches Medium konfrontiert der Künstler mit den Spiegelflächen Vergangenheit und Gegenwart. Die vor dem Zugang zur U-Bahn aufgestellte 2,70 m hohe Stele aus verspiegelten Edelstahl greift in ihrem Grundriss die Dreiecksform des Platzes auf. Ihre Spiegelflächen bewirken eine Brechung und Wiedergabe von Mensch, Architektur und Platz. Im Inneren befinden sich drei Gusstafeln als Bodenintarsien mit folgenden Texten: "Der Hausvogteiplatz war Mittelpunkt der Berliner Mode- und Bekleidungsbranche, in der jüdische Unternehmer seit den 1830er Jahren eine führende Rolle spielten. Firmen wie Gerson, Manheimer, Levin und Herzog trugen entscheidend zum Entstehen der 'Berliner Mode und ihrem hohen internationalen Ansehen bei. Von 1933 an wurden jüdische Unternehmer mit zunehmender Gewalt aus der Konfektionsbranche verdrängt. Ihre Firmen wurden 'arisiert oder stillgelegt. Dadurch wurden die Tradition und die wirtschaftliche Bedeutung dieses bis dahin zweitgrößten Berliner Industriezweiges nachhaltig zerstört. Die jüdischen Inhaber und Angestellten der Berliner Konfektion wurden von den Nationalsozialisten in die Emigration getrieben oder in die Lager verschleppt und ermordet." Die BVG, als Eigentümer des U-Bahnhofes, unterstützte von Anfang an die Errichtung des Denkzeichens. Die nunmehr abgeschlossene Rekonstruktion des Treppenbereiches in der Fassung des Architekten Alfred Grenander um 1906/08 schließt das Kunstwerk als integralen Bestandteil ein. Die Kosten für das Denkzeichen belaufen sich auf insgesamt 180.000,-- DM und sind aus Mitteln der Kunst im Stadtraum finanziert. Der Bezirk Mitte wird die baulichen Unterhaltungskosten übernehmen. Es ist vorgesehen, mit der Wiederherstellung des Umfeldes, d.h. der Straßen, Gehwege sowie der Freiflächengestaltung des Platzinneren nach der Sommerpause zu beginnen. PressearchivPressestelle
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