Um einen konkreten Perspektivwechsel ging es bei der ersten „Kiez-Berollung“ des Marzahner Quartiers Springpfuhl/Südspitze am 15. September. Beschäftigte des Bezirksamtes Marzahn-Hellersdorf waren drei Stunden lang selbst mit dem Rollstuhl, dem Rollator und dem Lastenfahrrad unterwegs, um Barrieren im öffentlichen Raum zu erspüren und Probleme wie zu hohe Bordsteinkanten oder fehlende Handläufe an Treppen zu benennen. Eingeladen hatten zu dieser ungewöhnlichen „Rundfahrt“ Constance Cremer von der STATTBAU Stadtentwicklungsgesellschaft mbH und Sabine Antony, Leiterin der Städtebauförderung im Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf. Neben Mitarbeitenden des Straßen- und Grünflächenamtes sowie des Stadtentwicklungsamtes und der Beauftragten für Menschen mit Behinderung Yvonne Rosendahl, waren Gäste mit weitreichenden Erfahrungen dabei: Zu ihnen gehörten Alexander Koch, seit 6 Jahren auf den Rollstuhl angewiesen und Vorstand des Vereins Rollers e.V., sowie Frank Holzmann, Geschäftsführer des Bürgerhauses Südspitze. Er weiß aus seiner Arbeit in der immer älter werdenden Nachbarschaft, dass manche Barrieren nicht nur die Mobilität erschweren, sondern letztendlich zur Vereinsamung führen.
Das soll sich ändern! Finanziert aus dem Programm Nachhaltige Erneuerung, erarbeitet das Büro STATTBAU ein Konzept, wie Hindernisse im Quartier Springpfuhl/Südspitze schrittweise abgebaut werden können. Gefragt sind Anregungen aus möglichst unterschiedlichen Perspektiven. Deshalb werden derzeit auch Wohnungsunternehmen, soziale Einrichtungen und vor allem Menschen im Stadtteil befragt, was benötigt wird, um hier ein barrierearmes und inklusives Quartier zu entwickeln. STATTBAU hat Postkarten in mehreren Sprachen verteilt, auf denen Anwohner*innen störende Barrieren im persönlichen oder öffentlichen Umfeld - etwa im Haus, im Park, einer Einrichtung oder auf der Straße - notieren können.
Beim Rundgang vom Rathaus Marzahn durch zwei Parks, zu einer Schule, einer Kita und zum Bürgerhaus Südspitze machten alle Beteiligten neue Erfahrungen: zum Beispiel, wie schwierig die Überwindung nur kleiner Anstiege mit einem Rollstuhl ist oder, dass Rollatoren nur mit Mühe über eine Bordsteinkante zu heben sind. Diese Eindrücke, aber auch Positives in Bezug auf Barrierefreiheit, wurden auf einem Stadtplan verortet.
Bereits am Ausgangspunkt wird deutlich, welch große Herausforderung die Barrierefreiheit in einer gewachsenen Stadt sein kann. So ließe sich das unter Denkmalschutz stehende Rathaus Marzahn, eines von wenigen Rathausneubauten der DDR, nur durch komplettes, sehr teures Entkernen barrierefrei gestalten. Als Kompromiss werden in der nächsten Zeit WCs, gemeinsam genutzte Räume sowie Räume für den Besuchsverkehr entsprechend umgebaut. Der Zugang zum Gebäude ist schon barrierefrei.
Die „Grundschule unter dem Regenbogen“ ist ebenfalls ein positives Beispiel, bräuchte aber dringend eine verkehrssichere Zuwegung. Der Kita „Raupe Nimmersatt“ fehlen noch grundlegende bauliche Voraussetzungen. Begegnungen zwischen Bewohner*innen des benachbarten Seniorenheims und den Kitakindern sind nur mit großem Aufwand zu stemmen. Geplant ist deshalb ein Anbau, der die Öffnung in den Stadtteil ermöglicht. Die Leiterin erläutert, dass für ihre Einrichtung zur Barrierefreiheit moderne WCs, der Schallschutz, Aufzüge und Induktionsschleifen für Menschen mit Hörgeräten dazu gehören.
Das Bürgerhaus Südspitze, zu dessen Nutzer*innen viele ältere und behinderte Menschen gehören, besitzt derlei Einrichtung bereits. Sie bemängeln allerdings schadhafte oder schlecht beleuchtete Bürgersteige und fehlende Bänke für einen Zwischenstopp auf dem Weg zum Arzt oder zum Einkaufen, so der Leiter der Einrichtung.
Mit großem Interesse verfolgen die Teilnehmenden die Ausführungen von Alexander Koch, der den gesamten Rundgang fachlich begleitet. Er hat mit seinem Verein Rollers e.V. verschiedene Typen der Großplattenbauweise begutachtet und festgestellt, dass die Gebäude aus den 1970er Jahren mit etwas Aufwand und gutem Willen durchaus altersgerecht und barrierearm sein könnten. Der Architekt möchte dazu entsprechende Denkanstöße vermitteln. Sollten diese Schule machen, könnten viele Senioren weiter in ihrem grünen Umfeld wohnen bleiben. Das wäre ein großer Schritt – hin zu einem inklusiven Stadtteil für alle Generationen.
Postkarte (deutsch) (PDF)
Hier finden Sie eine ausführliche Projektbeschreibung zur Studie "Barrierearmes Quartier Springpfuhl/Südspitze"