Am 30. Januar jährt sich zum 90. Mal der Tag, an dem Hitlers Vasallen mit Fackeln durchs Brandenburger Tor marschierten. Wie wir heute wissen, bildete diese Inszenierung den Auftakt für einen Krieg, der weltweit etwa 70 Mio. Menschen[1] das Leben kostete – darunter 8 Millionen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine.
Mit der sog. „Machtergreifung“ endete auch die erfolgreiche Phase des Sozialen Bauens in der Weimarer Republik. Gustav Böß, erster Oberbürgermeister Berlins[2], hatte mit seiner neuen „Bodenvorratungspolitik“[3] die Grundlage dafür geschaffen. Tausende Berliner Familien fanden in den „Siedlungen der Moderne“ – inzwischen Weltkulturerbe – ein bezahlbares Zuhause im grünen Umfeld, mit guter Verkehrsanbindung und einer sozialen Infrastruktur (Bildung, Kultur, Sport und Erholung), von der unsere polyzentrische Stadt bis heute profitiert.
1933 wendete sich das Blatt: Die Nazis vertrieben (nicht nur) jüdische Architektinnen und Architekten und legten die Stadtentwicklung stattdessen in die Hände weniger Getreuer – allen voran Albert Speer. Der präferierte biederen Wohnungs- und bombastischen Funktionsbau, wollte gar 50.000 Wohnungen für Hitlers Vision von der „Reichshauptstadt Germania“ opfern. Wie weit das Vorhaben bereits fortgeschritten war, lässt sich heute noch u.a. an der Wilhelmstraße in Mitte, am Flughafen Tempelhof, am Fehrbelliner Platz (heute Sitz der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen) sowie am S-Bhf. Südkreuz erahnen.
In dessen Nähe, in der General-Pape-Straße 100, steht weithin sichtbar der sogenannte Schwerbelastungskörper. Er war Speers Versuchsbau für den gigantischen Triumphbogen, der später über einer sieben Kilometer langen Paradestrecke errichtet werden sollte. Es kam zum Glück nicht dazu, doch der vierzehn Meter hohe und über 12.000 Tonnen schwere Betonzylinder konnte aufgrund seines enormen Gewichtes nicht gesprengt werden. So steht das Bauwerk heute noch als Mahnmal und legt Zeugnis ab vom Größenwahn und rücksichtsloser „Stadtgestaltung“. Damit künftige Generationen diese Zusammenhänge nachvollziehen können, wurde das Areal von 2007 bis 2009 auf Anregung des Bezirks Tempelhof-Schöneberg mit Stadtumbaumitteln gesichert und durch einen Aussichtsturm ergänzt. Von dort haben Interessierte einen guten Blick auf den steinernen Koloss und erhalten Informationen und Hinweise für den weiteren Rundgang auf dem Geschichtsparcours Papestraße. Dessen Konzeption und Ausschilderung – angeregt durch die ehrenamtliche Geschichtswerkstatt Papestraße – wurde ebenfalls über Gelder aus dem Programm Stadtumbau West finanziert.
Eine der wichtigsten Stationen auf dem Rundgang ist der 2013 eröffnete Gedenkort SA-Gefängnis Papestraße. Er befindet sich im Keller eines ehemaligen Kasernengebäudes. Bereits im März 1933, wenige Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler, nutzte die Sturmabteilung (SA) – die paramilitärische Kampfeinheit der NSDAP – den Keller am heutigen Werner-Voß-Damm als frühes Konzentrationslager. Wie viele Menschen hier innerhalb von neun Monaten gefangen gehalten wurden, ist nicht dokumentiert. Von nur 500 kennt man bislang die Namen; die Dunkelziffer ist vermutlich wesentlich höher. Nach weiteren Fakten und Lebensläufen der Opfer wird noch geforscht. Bekannt ist, dass etwa 30 Gefangene die Misshandlungen und die schlechten Haftbedingungen nicht überlebten.
Das ehemalige SA-Gefängnis wurde behutsam über das Programm Stadtumbau als Museum umgestaltet, das wegen seiner Authentizität sehr berührt. Inzwischen kommen auch zahlreiche Schulklassen. Einige von ihnen setzen ihren Rundgang auf der „Roten Insel“ fort. Die ebenfalls über Stadtumbaumittel geförderte Insel-TOUR führt zu weiteren denkwürdigen Orten. An mehreren Stationen wird an Berlinerinnen und Berliner erinnert, die nicht der SA zujubelten. Vom ehemaligen SA-Gefängnis sind es z.B. nur wenige Minuten Gehzeit bis zum Geburtshaus von Marlene Dietrich, die Nazideutschland aus Gewissensgründen verließ und lange dafür angefeindet wurde. Erhalten sind auch Reste der ehemaligen Kohlenhandlung Annedore und Julius Leber in der Torgauer Straße, die von dort aus Aktionen gegen die Nationalsozialisten planten. Erinnert sei ebenso an die junge „Halbjüdin“ Maria Terwil, die in der benachbarten Kleingartenanlage das Funkgerät der Roten Kapelle versteckte, Flugblätter abtippte und vor genau 80 Jahren (am 26. Januar 1943) zum Tode verurteilt wurde. Sie starb in Plötzensee im August desselben Jahres.
Aus aktuellem Anlass ist ab dem 14. März 2023 im Gedenkort die neue Sonderausstellung „Auftakt des Terrors – Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ zu sehen – ein Ergebnis der Kooperation von bundesweit 17 Einrichtungen, die in der Arbeitsgemeinschaft „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“ organisiert sind.[4]
Weitere bemerkenswerte Erinnerungsorte in Fördergebieten der Nachhaltigen Erneuerung:
- Gedenkstätte für das nationalsozialistische Zwangslager der Sinti und Roma in Marzahn, Otto-Rosenberg-Platz (Ausstellungstafeln: gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa)
- Pfad der Erinnerung in Charlottenburg-Nord zwischen U-Bhf. Halemweg und der Hinrichtungsstätte Plötzensee (10 Informationstafeln und der barrierefreie Zugang zur Gedenkstätte wurden 2022 über GRW-Mittel finanziert.)
[1] Nach neuesten Schätzungen (2022) von DeStatis
[2] Siehe auch Nachricht zur Ausstellung Gustav Böß: „Unvollendete Moderne“
[3] Hrsg. Harald Bodenschatz, Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e.V.: „Unvollendete Metrolpole“, Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung anlässlich 100 Jahre Großberlin, Band 1, S. 288, Berlin 2020
[4] Gedenkstättenforum https://www.gedenkstaettenforum.de/gedenkstaettenreferat/beratung-und-vernetzung/arbeitsgruppen-und-kreise/arbeitskreis-der-gedenkstaetten-an-orten-frueher-konzentrationslager