Es ist längst erwiesen: Um sich in ihrem Kiez wohlzufühlen, brauchen Menschen vor allem ein gesundes, grünes Wohnumfeld, aber auch sichere Wege, Treffpunkte und Erholungs-, Spiel- und Sportmöglichkeiten für alle Generationen. Die Siedlungen der Moderne wie auch der Nachkriegszeit bieten hierfür in Berlin gute Voraussetzungen. Zum Beispiel die Jungfernheide-Siedlung und die Paul-Hertz-Siedlung mit ihren von Grünflächen durchzogenen Zeilenbauten im Fördergebiet Charlottenburger Norden. Für diese planmäßig angelegten Wohnsiedlungen besteht in den nächsten Jahren die Chance, sie u.a. mit Mitteln aus dem Programm Nachhaltige Erneuerung weiterzuentwickeln und an die heutigen Anforderungen von Klimaschutz, Klimaanpassung und Barrierefreiheit anzupassen.
Bedarf der Weiterentwicklung
Denn bei genauerer Betrachtung offenbaren sich viele Herausforderungen: Die Grünflächen sind oft eintönig gestaltet und bieten Insekten, Vögeln und anderen Tieren wenig Nahrung. Rasenflächen drohen zu versteppen und werden im gesamten Gebiet durch Kaninchen geschädigt. Wege sind nicht durchgehend barrierefrei und bieten wenig Orientierung. Der dem motorisierten Verkehr zugestandene Straßenraum dominiert; nicht zuletzt teilt und belastet die Autobahn die beiden Wohngebiete. Es fehlt an Bänken, Treffpunkten sowie Spiel- und Sportangeboten für Heranwachsende, junge Erwachsene und ältere Menschen.
Mit der Weiterentwicklung des Grünzugs Halemweg-Popitzweg und des Jackie-Spielplatzes werden mit Mitteln aus den Programmen Stadtumbau und Nachhaltige Erneuerung zwei öffentliche Grünanlagen und Treffpunkte entscheidend weiterentwickelt. Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf beauftragte außerdem das Büro SWUP GmbH im Herbst 2020 mit der Erarbeitung eines Wege- und Freiflächenkonzeptes für die öffentlichen und privaten Flächen des gesamten Gebiets nördlich von Siemens- und Goerdelerdamm. Denn die Anforderungen an Projekte in diesem Bereich sind hoch: Die Freiflächen befinden sich überwiegend in Privatbesitz und große Teile der Jungfernheidesiedlung westlich der Autobahn stehen unter Denkmalschutz. Ende 2021 lag das fertige Wege- und Freiflächenkonzept vor.
Analyse, Leitbild und Zukunftsszenarien
Die Öffentlichkeit hatte trotz der Pandemie großen Anteil sowohl an der Analyse als auch an Ideen für die Weiterentwicklung. Beides wurde mithilfe eines Fragebogens gesammelt, der sowohl in der Zeitschrift Charlie als auch auf der Beteiligungsplattform mein.berlin.de veröffentlicht war. Gefragt wurde u.a. nach Lieblingsorten, Schwachstellen, fehlenden Angeboten und nach eigenen Vorschlägen. 77 Fragebögen wurden ausgefüllt, das Ergebnis ist auf www.mein.berlin.de/projekte/charlottenburg-nord-wfk/ einsehbar. Das aus der Analyse resultierende Leitbild steht unter dem Motto: "Wohnen im Denkmal, Leben im Grünen. Vernetzt. Vielfältig. Klimaangepasst".
Aufbauend auf den Stärken und Potenzialen des Gebiets wurden Vorschläge zur Stärkung von Treffpunkten und Kommunikationsorten, zur Verteilung von Nutzungs-, Spiel- und Sportangeboten, zu Wegesystem, Querungen und Verkehrsberuhigung sowie zu Aspekten der Anpassung an den Klimawandel und zur Förderung der biologischen Vielfalt zusammengestellt. Den Abschluss des Konzepts bilden Steckbriefe zu 10 Handlungsschwerpunkträumen mit besonderem Handlungsdruck oder besonders großen Verbesserungspotenzialen.
Für jeden dieser Räume wurde ein grafisches Zukunftsszenario entwickelt. Dort enthalten sind zusätzliche Sitzbereiche, wasserdurchlässige, barrierefreie Beläge, Blühwiesen oder gemeinsam bewirtschaftete Gärten, Fahrradverbindungen, gemeinsam genutzte Straßenräume, insektenfreundliche Beleuchtung sowie vielfältige Spiel- und Sportflächen. Diese Verbesserungen sind jedoch nicht unbedingt mit großen Baumaßnahmen verbunden. Größere Umgestaltungen sind im westlichen Bereich ohnehin nicht möglich, denn die Raumgestaltung der ursprünglichen Freianlagen und Straßenräume muss dort aus Denkmalschutzgründen erhalten bleiben.
Denkmalschutz als Bedingung und Chance
Möglich ist dort vor allem die Weiterentwicklung oder auch Umwidmung bestehender Angebote, zum Beispiel die Umwandlung von kleinen Sandspielflächen zu Pflanzinseln oder Gemeinschaftsgärten oder die Nutzung von Teppichstangen als Kraftsportanlagen. Offene Rasenflächen können zu insektenfreundlichen Blühwiesen werden. Die unterschiedlichen kleinen und größeren Sportangebote lassen sich durch Sportrundwege miteinander verbinden.
Gestaltungselemente des denkmalgeschützten Bereiches, wie z.B. Belagsarten und -muster oder spezifische Ausstattungselemente, könnten auch in den nicht geschützten Bereichen zum Einsatz kommen, um den Quartierszusammenhang zu unterstreichen. Großes Potenzial zur Klimaanpassung bietet die mögliche Abkopplung von Gebäuden und Stellplatzflächen von der Kanalisation und die Versickerung und Ableitung des Niederschlags in Vegetations- und Versickerungsflächen oder auch in Rigolen.
Offener Freiraum für alle
Die Offenheit und Durchlässigkeit der privaten Freiräume soll wie im Gebiet Greifswalder Straße dauerhaft gesichert werden. Ihre Verzahnung mit den öffentlichen Flächen sorgt für eine größere Vielfalt der Nutzungsmöglichkeiten. Dabei sollen die verschiedenen Angebote für Kommunikation/Treffen, Spiel, Sport, Natur und Gärtnern gut über das gesamte Gebiet verteilt werden und so für alle Bewohner:innen kurze Wege ermöglichen, ohne dass in jedem Hof alles vorhanden sein muss.
Als Folgeprojekt wird ab Herbst 2022 ein vertiefendes Freiflächenkonzept für die nicht unter Denkmalschutz stehende Paul-Hertz-Siedlung in Kooperation mit dem Wohnungsunternehmen GEWOBAG und der Stiftung Naturschutz Berlin angestrebt. Auch über die nächsten Jahre sollen die Abstimmungen mit der Wohnungswirtschaft zu einer gemeinsamen Betrachtung des Wohnumfeldes in Charlottenburg-Nord weitergeführt und intensiviert werden. Dabei soll die ökologische Aufwertung der Grünflächen im Mittelpunkt stehen.