Vom 14. bis 16. September trafen sich in Berlin Fachleute aus Politik, Wissenschaft und aus der Praxis zum Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik unter dem Motto: Transformation gestalten – Aufbruch zur urbanen Resilienz. Auf dem Programm, dass nach drei Jahren erstmals wieder in Präsenz stattfinden konnte, standen Vorträge, Podiumsdiskussionen, thematische Arenen, die Verleihungen des Bundespreises zum Wettbewerb Stadtgrün und des Deutschen Bauherrenpreises sowie zahlreiche Exkursionen, u.a. zur Nachnutzung des ehemaligen Flughafens Tegel.
Andreas Geisel, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, betonte zum Auftakt des Programms am 15. September die große Bedeutung der Städtebauförderung, die seit 50 Jahren dazu beitrage, die Anpassungsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit der Städte zu stärken. In Berlin werden aktuell 69 Städtebaufördergebiete mit mehr als 120 Millionen Euro von Bund, Land und EU gefördert.
Auf die wachsende Bedeutung der Städtebauförderung angesichts der vielfältigen Herausforderungen vom demographischen Wandel bis zur Klimaanpassung verwies auch Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Die Städte seien jedoch nicht nur von den globalen Problemlagen stark betroffen, dort würden auch konkrete Lösungsansätze entwickelt und erprobt. Dabei sei es unerlässlich, ortsübergreifend voneinander zu lernen, wozu dieser Kongress reichlich Gelegenheit bot. Hier würden Lösungsansätze auf globaler und lokaler Ebene zusammengeführt, so Klara Geywitz.
Aspekte der japanischen Perspektive erläuterte Toshiyuki Hayashi, Vice Minister for Land and Hokkaido Development Affairs. Japan ist mit seiner überalterten Gesellschaft beim demographischen Wandel vielen anderen Ländern weit voraus und ist gezwungen, die damit verbundenen Herausforderungen konsequent anzugehen. Ziel ist ein barrierefreies Japan bis 2025. Im Städtebau wendet man dafür das sogenannte Universal Design an, dass die Teilnahme aller Menschen am Nachbarschaftsleben ermöglicht.
Die globale Perspektive nahm in seiner Keynote Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber, Direktor Emeritus des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), ein. Die Bedeutung des Bausektors und der Städte beim „Klimaendspiel“ illustrierte er mit folgendem Fakt: Etwa 40 Prozent der heute global ausgestoßenen Treibhausgase kämen beim Bauen und Betreiben von Gebäuden und Infrastrukturen zustande1 (IEA, 2019). In den westlichen Industrieländern entstehe zudem mehr als die Hälfte der gesamten Abfallmasse durch Konstruktion und Abriss. In Sachen Umweltverschmutzung sei Beton, wäre er ein Staat, der drittgrößte Verursacher.
Eine Lösung für diese fortschreitende Bedrohung sieht Prof. Schellnhuber in der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen, vor allem Holz, als Baustoff. Bäume entziehen der Atmosphäre Kohlenstoff, Holzbauten binden dadurch dauerhaft CO2, das Material könne zudem gut wiederverwendet werden. Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft und andere Kohlenstoff speichernde Naturmaterialien wie Stroh, Hanf oder Bambus sollten nach seiner Ansicht weltweit Stahlbeton und Ziegel ersetzen.
Der Klimagewinn sei ein doppelter: Das bei der Stahl- und Betonherstellung massenhaft anfallende CO2 wird vermieden und durch das verwendete Holz wird der Atmosphäre CO2 entzogen und langfristig eingelagert. Zur Illustration nannte er in seinem Gastbeitrag für das Conference Paper das Beispiel eines Einfamilienhauses: Das dort verbaute Holz kompensiere knapp 100 Hin- und Rückflüge von Berlin nach New York.
Dafür braucht es Lösungen in den 16 Landesbauordnungen, das wurde in der anschließenden Podiumsdiskussion deutlich, die Klara Geywitz mit Prof. Schellnhuber sowie der Vorsitzenden der Bauministerkonferenz der Länder und baden-württembergische Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, Nicole Razavi, dem Heidelberger Oberbürgermeister Prof. Eckart Würzner und Prof. Bernd Düsterdiek, Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, führte. Der Fokus müsse weg von der reinen Konzentration auf die Energiebilanz hin zum nachhaltigen Gebäude. Ein Qualitätssiegel könne faire Marktchancen für alternative Baustoffe bieten. Zurzeit ist Holzbau noch etwa 2 bis 5 Prozent teurer als konventioneller Betonbau.
Die Städtebauförderprogramme böten schon heute gute Chancen zur Gestaltung dieses Transformationsprozesses, so Nicole Razavi. Auch in Berlin wurden und werden im Programm Nachhaltige Erneuerung (früher Stadtumbau) solche Baustoffe angewendet, so für die Betonoase aus Ultraleichtbeton in Friedrichsfelde und die Sporthalle der Johannes-Schule in Schöneberg in Holzbauweise.
Geniale Köpfe hatten das Potenzial des Naturmaterials für das moderne Bauen schon vor fast 100 Jahren erkannt, das führt Prof. Schellnhuber ebenfalls in seinem Beitrag für das Begleitpapier zum Kongress aus. Konrad Ludwig Wachsmann schuf auf ausdrücklichen Wunsch von Albert Einstein dessen Caputher Sommerhaus aus Holz. Der Architekt und Geschäftsführer einer Holzbaufirma entwickelte später in der Emigration zusammen mit Walter Gropius ein Fertighaussystem in Holzbauweise.
In dieser Tradition initiiert Prof. Schellnhuber 2019, 100 Jahre nach Gründung des Bauhauses die Bauhaus Earth gGmbH https://www.umweltbundesamt.de/themen/bauhaus-der-erde-initiative-fuer-eine-bauwende. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Initiative für ein „New European Bauhaus“ ausgerufen https://new-european-bauhaus.europa.eu/index_en, zu der im Juni 2022 in Brüssel erstmals ein Festival stattfand.
Die Europäische Kommission hat 2021 die EU-Mission „100 klimaneutrale und intelligente Städte“ auf den Weg gebracht. Bis 2030 sollen 100 europäische Städte mit 12 Prozent der EU-Bevölkerung klimaneutral sein. In einer der sechs thematischen Arenen des Kongresses stellten teilnehmende Städte wie Mannheim und Valencia ihre ersten Schritte vor; dazu gehören jeweils ein Climate City Contract – ein Vertrag der Stadtgesellschaft mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2030 -, ein Aktionsplan und ein Investment-Plan. Die Vertreter der Städte diskutierten gemeinsam mit den Gästen über den weiteren Weg. Bis 2050 sollen alle Städte in der EU klimaneutral funktionieren – ein heute kaum vorstellbares, aber überlebensnotwendiges Ziel.