Verhalten im Brandfall |
Presse und Aktuelles75 Jahre BVG: Grußwort der Senatorin für Stadtentwicklung, Ingeborg Junge-Reyer08.09.04, Pressemitteilung Nichts ist schwieriger als Loben, notierte Max Frisch in seinen Tagebüchern. Eine - gerade in Berlin - meist zutreffende Beobachtung. Und dennoch, zum heutigen runden Geburtstag der Berliner Verkehrsbetriebe fällt es mir leicht, das Lob des Berliner Senats angesichts der Lebensleistung dieses Unternehmens zu übermitteln. Das liegt natürlich in erster Linie an der Jubilarin selbst. Die BVG und ihre Leistungsfähigkeit, schätzt am meisten, wer von auswärts kommt. Für viele Ur-Berliner gehört das umfassende Angebot der BVG, 7 Tage die Woche, Tag und Nacht, so selbstverständlich zum Alltag wie das Wasser aus der Leitung. Wer aber die Stadt neu kennen lernt, und sie mit großen Metropolen wie z.B. London vergleicht, kommt aus dem Staunen nicht heraus: 144 km U-Bahn, 187 km Straßenbahn, 1271 km Buslinien - in welcher Großstadt gibt es ein so umfassendes modernes Angebot an öffentlichem Verkehr, und das nicht nur im Zentrum, sondern bis an den Stadtrand und zum Teil darüber hinaus. 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sorgen täglich dafür, dass die Mobilität der Millionenstadt und ihrer Besucher auch ohne Auto gesichert ist. Nahverkehrsmittel, U-Bahnen - aber auch die großen Gelben auch die S-Bahn, sind für mich das Symbol schlechthin für die moderne Großstadt. Ob Film, Fernsehserie oder Roman - spielen sie in Berlin, verzichtet kaum ein Autor darauf, dieses Symbol wirkungsvoll in Szene zu setzen. Die BVG ist als Nebendarsteller im urbanen Charakterfach fest abonniert. Das zeigt: Die BVG ist nicht nur die verkehrstechnische Antwort auf städtische Mobilitätsbedürfnisse, sie prägt die jüngere Geschichte unserer Stadt in grundlegender Weise. Dass sich der öffentlichen Nahverkehr zu einem so wichtigen Faktor des Berliner Lebens entwickeln konnten, verdanken wir nicht zuletzt dem Engagement und der Weitsicht Ernst Reuters. Unter seiner Führung als Städtischem Dezernenten für Verkehrswesen gelang vor 75 Jahren die Fusion aller drei städtischen Verkehrsgesellschaften unter einem Dach. Ernst Reuter erkannte, dass ein integriertes Angebot von Bus, Straßenbahn sowie Hoch- und Untergrundbahn am besten innerhalb eines Betriebsverbundes gewährleistet werden kann. Während andere vor der Bildung eines solchen Riesenunternehmens zurückschreckten, begann Reuter gegen alle Einwände mit der Arbeit zur Vereinigung der drei bestehenden Verkehrsgesellschaften. Und er hatte Erfolg. Am Ende aller Verhandlungen wurde die Berliner Verkehrs-Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 400 Mio. Mark - das sich fast ausschließlich in Händen der Stadt befand - in das Handelsregister eingetragen. Berlin hatte seine "BVG". Schon zum Zeitpunkt ihrer Gründung konnte die BVG ein beachtliches Streckennetz übernehmen: 89 Straßenbahnlinien mit 14.000 Beschäftigten, 35 Buslinien mit 4.500 Beschäftigten sowie 7 U-Bahnlinien. Allein im Straßenbahnbereich wurden jährlich rund 900 Mio. Fahrgäste transportiert. 1930 wurde in der U-Bahn zur Rush-Hour bereits im 2-Minuten-Takt gefahren. Demgegenüber ging es mit rund 30.000 PKW beim Individualverkehr noch eher beschaulich zu. Selbstbewusst konnte die junge BVG daher werben: "Die BVG, das merk Berliner, ist im Verkehr Dein erster Diener." Dieser gelungene Werbetext war übrigens Ergebnis eines Preisausschreibens - für die Segnungen professionellen Marketings fehlte wohl noch das Geld. Nach stürmischem Neubeginn musste das junge Unternehmen die ersten Rückschläge in den wirtschaftlich schwierigen beginnenden 30er Jahren hinnehmen. Ab 1933 begann dann das dunkle Kapitel des NS-Regimes. Die BVG verliert ihre Selbständigkeit, wird als Eigenbetrieb BVB kommunaler Funktionsbereich und damit notgedrungen Teil des totalitären Staatswesens. Der Bombenkrieg richtet schwerste Schäden an. Dennoch gelang es dank aufopferungsvollen Einsatzes der BVBer, dass der Betrieb in vielen Abschnitten trotz stärkster Besetzung und schwerster Bombenangriffe bis April ´45 aufrecht erhalten werden konnte. Wer die Photos vom Kriegsende sieht, die zerstörten Hochbahnstrecken, Tunnel, Betriebshöfe, Gleise und Wagenparks, kann sich kaum vorstellen, dass angesichts der katastrophalen Schadensbilanz noch Mut und Tatkraft vorhanden waren, um wieder von vorne zu beginnen. Doch das Unvorstellbare gelang. So konnten zum Jahresende 1945 bereits wieder 91 % des U-Bahnnetzes befahren werden. Diese Phase der sektorenübergreifenden Kooperation beim Wiederaufbau währte allerdings nur kurz. Seit 1949 ist die BVG in zwei Direktionen Ost und West geteilt, es folgt die Umwandlung in den Eigenbetrieb BVG (West) und das VEB Kombinat Berliner Verkehrsbetriebe (BVB) Ost. Den traurigen Schlusspunkt setzt der Mauerbau 1961, der das Netz dauerhaft zerschneidet. Es begann die Zeit der Geisterbahnhöfe, des U-Bahnhofs Friedrichstraße als Tor zwischen West und Ost. "Passierschein, Ausweis, Zollerklärung - bloß nichts vergessen" - das mulmige Gefühl beim Grenzübertritt hat sich tief in meine Erinnerung eingegraben. Die Phase der Teilung endete 1989 mit einem Paukenschlag - auch für den öffentlichen Verkehr. Über 4 Millionen Fahrgäste wurden am Wochenende 11./12. November ´89 im Westberliner Stadtgebiet transportiert, U 6 und U 9 fuhren rund um die Uhr, gemeinsam setzten BVG und BVB die ersten Bahnhöfe in Stand. 1992 ist es dann offiziell: BVG und BVB sind fusioniert zu einer BVG. Wieder ein Neuanfang, wieder ist höchster Einsatz gefragt: Sanieren, Instandsetzen, Verbinden, Neubauen. Schließlich erreicht sogar die Straßenbahn nach 36 Jahren wieder das Gebiet von West-Berlin. Die BVG hat stürmische, wechselvolle Zeiten durchlebt und hat sich dabei als modernes Stehaufmännchen erwiesen. Viel ist erreicht, das Berliner Netz und die Infrastruktur brauchen keinen Vergleich zu scheuen. Daher hat der Senat mit seinem Stadtentwicklungsplan Verkehr zu recht beschlossenen, weniger als seine Vorgänger auf den Netzausbau zu setzen. Das ist nicht zu verwechseln mit Stagnation. Denn Netzerweiterungen sind in Berlin nicht mehr der entscheidende Faktor, um dem größten Konkurrenten der BVG, dem wachsenden Individualverkehr, Paroli zu bieten. Gefragt ist vielmehr die optimale Nutzung des Vorhandenen, eine hoch komplexe Aufgabe, die der Planung neuer U-Bahntrassen um nichts nachsteht. Mit 75 ist somit weiterhin kein Ruhestand, kein einfaches "weiter so!" in Sicht. Die Stichworte heißen "wirtschaftliche Sanierung", "sinkende finanzielle Ressourcen der öffentlichen Hand" und "Öffnung des ÖPNV-Marktes für den Wettbewerb". Die BVG ruht sich daher nicht auf ihren Lorbeeren aus. Das jüngste Projekt, die Angebotsoptimierung "BVG 2005 plus" zeigt, wie dynamisch sich das große Unternehmen BVG in die Zukunft bewegt. Alte Strukturen werden in Frage gestellt, neue, richtungsweisende Konzepte gewagt. Bei allen berechtigten Diskussionen im Detail müssen selbst Kritiker diesem mutigen Schritt Respekt zollen. Ich hoffe - gemeinsam mit den Fahrgästen -, dass die BVG trotz des hohen Tempos auf der Zielgeraden nicht entgleist und die Umstellung am 12. Dezember auch in der Praxis möglichst reibungslos läuft. Das Motto Mit Dynamik ins Durcheinander, sollte, wie in Ihrer Jubiläumsbroschüre, allein dem beginnenden 20. Jahrhundert vorbehalten bleiben. Gemeinsam mit S- und Regionalbahn leistet die BVG einen unersetzbaren Beitrag für die Lebensqualität, die Wirtschaftskraft und die soziale Integration der Stadt. Das gute BVG-Angebot sorgt dafür, dass in Berlin mehr Menschen als in allen anderen deutschen Großstädten auf ein Auto verzichten. Um die entsprechend guten Verkehrsverhältnisse auf unseren Straßen werden wir von Großstädten in aller Welt beneidet, die in Stau und Abgasen ersticken. Die BVG ist der Firmenshuttle für viele Berliner Arbeitnehmer. Viele Berliner Unternehmen investieren statt in kostspielige Parkplätze lieber in Jobtickets für ihre Arbeit-nehmer. Und schließlich ist die BVG ein soziales Bindeglied unserer Stadt, mit Angeboten für alle Quartiere, ob in Dahlem, Hellersdorf oder am Kottbusser Tor. Mein Dank und meine Hochachtung gelten an dieser Stelle den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BVG, den eigentlichen Garanten für das erfolgreiche Wirken der BVG. Schon Adam Smith stellte fest: Eine Bahn ist 95% Menschen und 5% Eisen. Dieses Verhältnis trifft für mich auf den gesamten öffentlichen Verkehr zu. Die Mitarbeiter sind es, die den Erfolg ihres Unternehmens täglich neu erringen müssen. Die Berliner sind um es positiv zu formulieren ein anspruchsvoller Kundenkreis, die schnell mit Kritik bei der Hand sind. Hier täglich zu bestehen, ist eine hohe Kunst. Nicht immer läuft alles rund, nicht immer wird der richtige Ton getroffen, aber das ist menschlich. Und spätestens bei der nächsten Reise außerhalb der Stadtgrenzen räumen auch die Berlinerinnen und Berliner ein: also bei uns zu Hause, da ist das mit den Öffentlichen ja alles viel besser. Auch künftig gibt es viele Aufgaben in der Berliner Verkehrspolitik, die wir nur gemeinsam mit der BVG und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bewältigen können. Auch wenn neue rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen der BVG wie auch dem Land Berlin erhebliche Anpassungsleistungen abverlangen fest steht: der Senat wird auch in der Zukunft auf die Leistungskraft der BVG setzen. Die BVG hat in der Vergangenheit schwierigste Zeiten erlebt und ist gestärkt aus ihnen hervorgegangen. Ich traue der BVG, der Tat- und Innovationskraft ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, zu, dass sie auch die künftigen Herausforderungen annehmen und - zusammen mit dem Eigentümer - meistern wird. Herzlichen Glückwunsch, BVG! PressearchivPressestelle
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